Bericht Swiss Hepatitis Symposium 2022: Viral Hepatitis and Migration
15. Dezember 2022
Migrantinnen und Migranten und deren Gesundheit beschäftigen uns nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine. Etwa ein Viertel der Schweizer Bevölkerung ist im Ausland geboren. Was bedeutet das für die Gesundheitsversorgung bezüglich viraler Hepatitis und anderer Infektionskrankheiten? Diesen Fragen gingen die Referent:innen am diesjährigen Swiss Hepatitis Symposium nach.
Sarah Blach von der CDA Foundation in Colorado USA hat die Schweizer Wohnbevölkerung, die im Ausland geboren wurde, genauer unter die Lupe genommen. Die Zusammensetzung der Nationalitäten in den Kantonen ist sehr unterschiedlich. So sind Hepatitis-C-Fälle bei Personen aus Italien vor allem im Tessin hoch, bei Personen aus Portugal in der Westschweiz. Von daher brauche es kultursensible, sowie der Bevölkerungsstruktur der Kantone angepasste Screening- und Behandlungsprogramme.
Kein «one size fits all»
Dass es keine Lösung gibt, die für alle gleichermassen passt, sieht auch Christina Greenaway so. Die Infektiologin und ausgewiesene Expertin für Migrant:innengesundheit aus Montreal, Kanada betont die hohe Diversität der Migrant:innen und ihre verschiedenen Hintergründe.
Es gibt viele Barrieren beim Zugang zu Tests und Behandlungen. Dies sowohl auf Patient:innenseite, auf Seiten der Gesundheitsfachleute, aber auch des Gesundheitssystems. Zentral ist eine Unterstützung, welche den kulturellen Hintergrund der Migrant:innen miteinbezieht. Ebenso zentral ist die sprachliche Unterstützung und die Arbeit von sogenannten «Health System Navigators». Das sind Personen, die Migrant:innen bei der Orientierung im Gesundheitswesen unterstützen. Zudem braucht es Schulungen von Fachpersonen im Gesundheitswesen genauso wie ein bedürfnisorientiertes Angebot von Dienstleistungen in unterschiedlichen Settings.
Am vielversprechendsten sind Screenings auf unterschiedliche Infektionskrankheiten bei Besuchen in einer Klinik oder bei einem Grundversorger. Studien zeigen zudem, dass bei der richtigen Unterstützung der Zugang zu einer Behandlung und die Erfolgsrate sehr hoch sind.
Stigma als Barriere
Zwei «Health Systems Navigators» kamen danach zu Wort. Alex Schneider, welcher russische Wurzeln hat und lange in der Ukraine gelebt hat, berichtete eindrücklich von seiner Arbeit als Freiwilliger bei der Begleitung von Schutzsuchenden mit HIV oder Hepatitis, welche aus der Ukraine flohen. Diskriminierungsängste und Unwissen über das hiesige Gesundheitssystem verhinderten oft einen raschen Zugang zu einer Behandlung. Alex Schneider baut hier Brücken dank seiner Kenntnisse beider Gesundheitssysteme und hilft dabei, Ängste abzubauen.
Ähnliches berichtet Tesfalem Ghebreghiorghis von der Fachstelle für Sexuelle Gesundheit Zürich. Er begleitet Migrant:innengruppen unterschiedlichster Herkunft und klärt sie über HIV und andere Infektionskrankheiten auf. Stigma ist hierbei ein grosses Problem. Einerseits besteht Furcht davor, vom Gesundheitspersonal stigmatisiert zu werden. Fast noch grösser ist das Problem des Stigmas bei Bekanntwerden der Infektion innerhalb der Community, oder auch der Familie, die im Herkunftsland geblieben ist. Stigma entsteht in vielen Fällen, weil Wissen zu Behandlungsmöglichkeiten fehlt. Besonders wertvoll sei es, Outreach-Arbeit an Orten zu leisten, wo Migrant:innengruppen zusammenkommen, sei es an einem Fussballspiel oder einem Schönheitswettbewerb.
Von der Coronapandemie lernen
Gilles Wandeler, Forscher mit Fokus Afrika am Inselspital, berichtete von Eliminationsbemühungen aus Ländern in Subsahara-Afrika. Um Eliminationsziele zu erreichen, braucht es Prävention, Tests und Behandlungen, sowie Information und Wissen. Es gibt Erfolge: In einigen Ländern konnte die Impfabdeckung für Hepatitis B erheblich gesteigert werden. Die Behandlung der Hepatitis B bietet zahlreiche Herausforderungen. Nur die wenigsten Patient:innen in afrikanischen Ländern qualifizieren für die Behandlung. Gleichzeitig werden aber immer wieder schwere Folgeerkrankungen verpasst, weil Patient:innen nicht behandelt wurden. Hier stellt sich die Frage, ob Behandlungs-Guidelines angepasst werden sollten.
Anna Eichenberger, Oberärztin am Inselspital, berichtet aus dem klinischen Alltag in den Empfangsstellen. Ein Dilemma sei, dass bei Personen mit chronischen Infektionskrankheiten in den Bundesasylzentren die Behandlungskette unterbrochen werden kann. Betroffenen wird gesagt, dass sie sich in den Kantonen für Tests und Behandlungen zu melden haben. Dies im Bewusstsein darüber, dass gewisse Patient:innen so verloren gehen oder es wegen eines abgelehnten Asylantrags gar nicht zu einer Behandlung der chronischen Infektionskrankheit kommt.
Zum Schluss brachte Thomas Steffen, ehemaliger Kantonsarzt und Präsident von Public Health Schweiz, die Sicht der Kantone ein. Diese würden eine Schlüsselrolle bei der Gesundheit von Migrant:innen spielen, insbesondere beim Umgang mit Ungleichheiten im Gesundheitsbereich. So habe man viel aus der Corona-Pandemie gelernt, welche die Migrant:innen besonders hart traf. Die Impfquote beispielsweise konnte mit über 100 Übersetzer:innen und gezielten Sprachnachrichten in sozialen Netzwerken der Migrant:innen-Communities erhöht werden. Von diesen Erfahrungen können wir lernen.
Podiumsdiskussion: Von «Simplification» und Pragmatismus
Hepatitis-Schweiz-Präsident Philip Bruggmann betonte, dass «Simplification» ein wichtiger Ansatz zum Lücken schliessen sei: Tests, Diagnostik, aber auch die Behandlung müssten vereinfacht werden. Betroffene sollten niederschwellig zu einem Test kommen, um herauszufinden, ob sie mit einem Hepatitis-Virus infiziert sind. Informationen zu HIV, Tuberkulose und viraler Hepatitis sollten zudem gebündelt werden. Gilles Wandeler zeigte an einem eindrücklichen Beispiel, dass Policys für die Versorgung von Infektionskrankheiten auch bei fehlenden Daten pragmatisch ausgestaltet werden sollten: Wie bei HIV-positiven Müttern sollten auch werdenden Müttern mit Hepatitis B in Afrika auch bei niedriger Viruslast eine Therapie angeboten werden, um eine Übertragung auf das Neugeborene zu verhindern. Doch oft setzen heutige Behandlungsrichtlinien eine hohe Viruslast für eine Behandlung einer Hepatitis B voraus.
An diesem Nachmittag konnten Lücken und Barrieren in der Versorgungskette von Personen mit Migrationshintergrund aufgezeigt werden. Es gibt Lösungsansätze in Form der Community-Worker, Konzepte wie Simplifikation sowie die integrierte Versorgung und Policys, die aus der Praxis geboren werden. Alle diese Aspekte braucht es, damit die Eliminationsziele erreicht werden können.
Die Vorträge können hier nachgehört und die Slides heruntergeladen werden: hepatitis-schweiz.ch
Bettina Maeschli / Dezember 2022
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