Abschiedssymposium Hansjakob Furrer: Mein Arzt geht in Pension
Die Pioniere der HIV-Kliniker treten ab. Wir dachten mal, sie begleiten uns ins Grab, und jetzt verabschieden wir sie in den Ruhestand. Auch mein langjähriger Arzt Prof Hansjakob Furrer[1] vom Inselspital Bern wird sich in ein paar Wochen seiner Familie und seinem geliebten Saxophon zuwenden. Ich durfte mich an seinem Abschiedssymposium am 16. Mai im Inselspital in Bern bei ihm bedanken.
Erstmals getroffen habe ich Hansjakob Furrer aka «Tschabi» vor bald 28 Jahren, nach dem historischen AIDS-Kongress in Vancouver 1996. Damals hat sich die Dreiertherapie mit dem Proteasehemmer als wirksame Therapie etabliert.
Nach der Diagnose 1986, als man mir kerngesundem Jüngling 1800mg AZT täglich aufschwatzen wollte, war mir das Inselspital ein Ort des Schreckens. Da ging man hin, um zu sterben. Ich hatte den Eindruck, die Ärzte wüssten eh nichts, und ich sei besser dran, wenn ich selber auf mich aufpasste.
Aber ich hatte auch Glück, denn es gab noch einen Bieler Hausarzt, auf den ich mich im Notfall verlassen konnte. Dieser kam von besagter Konferenz aus Vancouver zurück, rief mich an und meinte «Haerry, das frisst Du jetzt, und Du gehst ins Inselspital». Ich war damals schon sehr angeschlagen, hatte eine PCP hinter und zwei weitere vor mir.
Im Inselspital fand ich 1996 zu meiner Überraschung eine wohlorganisierte Infektiologie, und zwei Ärzte, die deutlich mehr wussten als ich – einer davon war eben «Tschabi». Ich kannte damals meine CD4 beim Vornamen, es waren drei – Hans, Fritz und Elise, und meine Viruslast war dreimal grösser als die damalige Schweizer Armee. Aber Tschabi hat mich, gemeinsam mit seinem Assistenzarzt Lorenz Böhlen, geduldig aufgepäppelt. Das ging 1996 nicht so schnell wie heute, die Therapien waren anspruchsvoll, mein Alltag drehte sich um die 30 Pillen, welche über den Tag verteilt mit und ohne Essen, auch mit viel Butter und Grapefruitsaft zu nehmen waren.
Mit der Zeit entwickelten wir gar eine Beziehung, eine richtige Arzt-Patientenbeziehung. Wenn meine Triglyceride Hochsprung übten, war sich Tschabi nicht zu schade, Peter Reiss in Amsterdam anzurufen und seinen Rat zu holen. Nachdenken, sorgfältig überlegen und diskutieren – das hat ihn als Arzt ausgezeichnet, und er vermittelte mir das Gefühl, er hätte alle Zeit der Welt.
Als ich dann wieder richtig auf den Beinen war, traf ich ihn plötzlich überall. An Konferenzen, im wissenschaftlichen Komitee der COHERE Kohorte, im Vorstand der Aids Hilfe Bern und Samstags beim Fischer oder beim Gemüsebauern auf dem Berner Märit.
Die langjährige Geschäftsführerin der Aids Hilfe Bern, Bea Aebersold, erzählte mir von ihrer ersten Begegnung mit Tschabi. Es war Ende der 80er, Anfang 90er, in einer Wohnung irgendwo in Bern, zusammen mit einigen von HIV-Betroffenen. Es ging um die Gründung einer PWA-Gruppe im Raum Bern. Sie erinnert sich an eine engagierte und zugeneigte Diskussion unter allen Anwesenden. Hansjakob Furrer war mittendrin, ihr war eine Weile unklar, wo er herkam. Er war nicht der Arzt, der sich hier auch noch zeigen musste, sondern einfach ein betroffener Mensch.
Speziell war auch, wie er im Jahr 2000 einer Pflegedelegation des Inselspitals und der AHBe Geschäftsführerin die Finanzierung für eine Kongressteilnahme in Durban organisierte. Tschabi hat massgeblich dazu beigetragen, dass der Kanton Bern die Krankenversicherung mit Franchise und Selbstbehalt für Menschen ohne Aufenthaltsberechtigung, den sogenannten «Sans-Papiers», übernimmt.
Einer meiner Freunde erzählte mir, wie er vor über 20 Jahren aus Nepal via Singapur in die Schweiz reisen sollte. Sars-CoV1 machte grad Schlagzeilen, an den asiatischen Flughäfen wurde überall Fieber gemessen. Und mein Freund hustete, dass Gott erbarm und hatte hohes Fieber.
Per Telefon holte er Rat bei Tschabi, schluckte Fiebersenker und schaffte es ins Flugzeug. Zuhause angelangt kam das nächste Problem – er hätte seine Diplomarbeit am nächsten Tag verteidigen müssen. Tschabi griff spontan zum Hörer, verlangte die Schulleitung und sagte «Hören Sie, mein Patient kommt grad aus Asien, er hustet und hat hohes Fieber. Ich schlage vor, er bleibt zuhause, Sie wollen sich ja nicht anstecken».
Ich konnte noch mit einigen anderen seiner Patienten reden. Wo sich neben Anekdoten alle einig waren: Tschabi war nie der Herr Professor, sondern jemand, der sein Licht unter den Scheffel stellte. Kooperativ, mit grosser Empathie und sehr pragmatisch – so haben wir ihn schätzen gelernt. Und wenn dann der Blutdruck etwas hoch war, meinte er sarkastisch «Das ist, weil Du mich so gut findest».
Lieber Tschabi, fast dreissig Jahre hast Du mich betreut. Und heute, mit 64, ist meine Lebenserwartung viel besser als damals, 1996. Sicher, die Pillen haben viel geholfen, aber Dein persönlicher Beitrag war enorm. Für alle, mit denen ich geredet habe, bist Du vor allem eines: ein Mensch.
Auf jiddisch ist ein «Mensch» vor allem eine gute Person. Leo Rosten, Autor des witzigen Wörterbuchs «The joys of Yiddish» ist differenzierter. Er schreibt: A mensch is „someone to admire and emulate, someone of noble character. The key to being ‚a real mensch‘ is nothing less than character, rectitude, dignity, a sense of what is right, responsible, decorous. Ein Mensch ist „jemand, den man bewundern und dem man nacheifern sollte, jemand mit edlem Charakter. Der Schlüssel dazu, ein „echter Mensch“ zu sein, ist nichts Geringeres als Charakter, Rechtschaffenheit, Würde, Sinn für das Richtige, Verantwortungsbewusstsein und Anstand.
Besser kann man Dich nicht beschreiben. Danke Tschabi, alles Gute!
David Haerry / Mai 2024
Programm Abschiedssymposium Prof Hansjakob Furrer 16. Mai 2024 in Bern
[1] https://infektiologie.insel.ch/de/ueber-uns/details/person/detail/hansjakob-furrer