Die Münchner Aids- und Hepatitis-Tage fanden 2018 mit mehr als 1’500 Teilnehmenden in Berlin statt. Neben Updates zu HIV und Hepatitis B und C standen 2018 in Berlin die PrEP, ChemSex, Flüchtlingsmedizin, weibliche Sexualbeschneidung, Diskriminierung und neue Therapiemöglichkeiten im Fokus.

Weibliche Sexualbeschneidung
Mit der weiblichen Sexualbeschneidung (female genital mutilation, FGM) bekam ein Thema Aufmerksamkeit, das sonst an HIV-Konferenzen nur als einer der Faktoren aufgezählt wird, der Mädchen und Frauen vulnerabel für HIV und weitere STI oder gesundheitliche Komplikationen macht. Zum Abschluss der Eröffnungszeremonie wurde die junge Massai Nice Nailantei Leng’ete mit dem Annemaire-Madison-Preis geehrt, weil sie sich mit ihrer Kampagne «STOP FGM» erfolgreich gegen die weibliche Sexualbeschneidung bei den Massai einsetzt.

Nice wuchs am Fusse des Kilimanjaro in Kenia auf. Der Übergangsritus der Massai vom Mädchen zur Frau besteht aus einem mehrtägigen Ritual, dessen zentraler Kern die Beschneidung der Mädchen ist. Nicht beschnittene Mädchen werden von ihren Peers zurückgewiesen und junge Massai-Männer weigern sich, sie zu heiraten. Nice erkannte, dass in der Schule nicht alle Mädchen beschnitten waren und rannte mehrmals vor dem Ritual davon. Sie begann, darüber zu sprechen, ihren Unwillen zu formulieren, und forderte damit ihren ganzen Stamm heraus. Die Beschneidung ist für die Mädchen lebensgefährlich und sehr schmerzhaft, meist offiziell verboten. Die Mädchen gehen danach nicht mehr zur Schule und werden verheiratet. In einem über zwei Jahre dauernden Prozess konnte Nice ihren Grossvater, die Stammesältesten und ihre Peers von den Vorteilen des Nicht-Beschneidens überzeugen. In Zusammenarbeit mit Amref Health Africa hat sie die Kampagne «STOP FGM» aufgebaut.

Schmerzhaft zu beobachten war, wie all die hochdotierten Wissenschaftler, Forscher und Professoren den Saal verliessen und damit ihr Desinteresse an der Preisverleihung und an FGM zum Ausdruck brachten. Die UN geht von 200 Mio. beschnittenen Mädchen und Frauen aus. Andere Quellen schätzen, dass heute jedes dritte Mädchen beschnitten ist. Kenia und fünf weitere afrikanische Länder machen bei der Bekämpfung von FGM Fortschritte. Doch der Kampf gegen die weibliche Beschneidung geht noch immer zu langsam voran, und aus diesem Grund brauchen die Mädchen Afrikas dringend Aktivistinnen wie Leng’ete.

Psychische Erkrankungen aufgrund der Flucht
Über Flucht als Krankheitsursache sprach Tankred Stöbe von Ärzte ohne Grenzen. Da keine niederschwelligen psychosozialen Hilfsangebote für Migrantinnen und Migranten in Deutschland existieren, haben Ärzte ohne Grenzen 2017 ein Modellprojekt in Schweinfurt gestartet. Dafür arbeiten sie mit psychosozialen Beratern zusammen, die selbst aus Syrien und weiteren Konfliktregionen geflohen sind.

Dauerthema Diskriminierung und Stigma
Der medizinische Fortschritt im HIV-Bereich und das zunehmende Knowhow von Betroffenen steht in krassem Gegensatz zum Wissenstand der Allgemeinbevölkerung, wozu auch staatliche Stellen und Behörden zählen. Diskriminierung in der Arbeitswelt durch gravierende Vorurteile gegen Menschen mit HIV sowie Vorbehalte im Umgang mit HIV charakterisiert Rechtsanwalt Jacob Hösl als „schlicht und ergreifend in hohem Masse ärgerlich“. Als Beispiele verwies er auf die Bereiche Bundeswehr, Polizei und deren Praxis der Datenspeicherung. Diese gingen von der irrigen Vorstellung aus, sich ohne Menschen mit HIV organisieren zu können. Diese Haltung verschliesst für Menschen mit HIV zahlreiche Berufe in diesen Bereichen und ist darum laut Hösl für einen modernen und aufgeklärten Rechtsstaat nicht tolerierbar.

Mit seinem Vortrag „HIV und HCV – Tatsächlich 2030 alles im Griff?“ bezog sich Jörg Gölz aus Berlin nochmals auf den internationalen Kontext. Er beleuchtete die Ziele von UNAIDS, WHO und PEPFAR kritisch und unter Einbezug der politischen, medizinischen und rechtlichen Gegebenheiten. Daraus schliesst er, dass 55 % aller Menschen mit HIV in autoritären Regimes leben, in denen Homosexualität, Prostitution und Drogenkonsum mit Gefängnis bestraft werden und die über mangelhafte Gesundheitssysteme verfügen.

Die gut vertretene Community sorgte für kritische Zwischentöne. Beispielsweise kritisierte ein Aktivist ein Werbevideo, das der Prävention von HCV dienen sollte, indem er minuziös die falschen Inhalte des Videos aufzeigte, wie beispielsweise, dass Blutspenden und heterosexuelle Sexualität als Risiken für HCV angedeutet werden. Neben den grossen Ausstellungsflächen der Pharmafirmen, die mit Kaffee, Getränken und ausgefallenen Snacks lockten, präsentierten sich NGOs wie die Deutsche Aids-Hilfe oder das Netzwerk Frauen und Aids mit kleinen Infoständen. Die kleine, hervorragend informierte Gruppe „Projekt Information: Betroffene informieren Betroffene“ stach heraus: Siegfried Schwarze und Engelbert Zankl waren persönlich präsent und Betroffenen gegenüber immer wieder gerne bereit, ihr Wissen um HIV und HCV weiterzugeben.

 

Romy Mathys / Mai 2018

 

Download Vorträge: http://www.sv-veranstaltungen.de/event-downloads/maht-2018/ (Passwort: 81820601)

Projekt Information e.V.: http://www.projektinfo.de/index.html ; Ausgabe März / April 2018: http://www.projektinfo.de/pdfs/PI182.pdf

Kampf gegen FGM: https://face2faceafrica.com/article/six-african-countries-made-significant-progress-fight-fgm/6

Spiegel 6/2018 über Nice Leng’ete: https://magazin.spiegel.de/SP/2018/6/155599026/index.html